Yin Yoga

Yin Yoga – östliche Philosophie und ihre westliche Adaption

Yin Yoga ist Teil der großen und bunten Palette an Stilen, die unter dem Begriff des Hatha Yoga zusammengefasst werden. Die Arbeit mit dem Körper wird im Hatha Yoga als ein essentieller Teil der ganzheitlichen Yogapraxis begriffen.

Die Zusammensetzung von ‚Yin Yoga‘ verweist dabei auf indische (Yoga) wie chinesische (Yin) Wissenssysteme, deren philosophische Beschreibungen des menschlichen Daseins in diesen Yogastil einfließen. Im Fokus stehen die Verbindung zwischen Energiekörper (Atem), den feinstofflichen Ebenen (Gedanken, Emotionen) sowie deren Präsenz und den Möglichkeiten ihrer Aktivierung im grobstofflichen Körper (Energieleitbahnen wie Nadis/Meridiane oder das Chakren-System im menschlichen Körper). 

Die Prinzipien von Yin und Yang entspringen der taostischen Philosphie (auch Daoismus) und bezeichnen zwei Seiten ein- und derselben Medaille: Yang meint hier das Aktive, Heiße, Extrovertierte oder auch Helle – entsprechend verfügt Yin über die Attribute des Passiven, des Kalten, Introvertierten und Dunklen. Eine indische Entsprechung findet sich im Gegensatzpaar von Ha (Sonne) und Tha (Mond) im Hatha Yoga. Beide Systeme beschreiben unsere Realität hinsichtlich ihrer Qualitäten und zielen auf den Zustand der Balance ab. Yin Yoga ist somit kein dezidiert neuer Stil, sondern tief in der Geschichte des Yoga und der östlichen Philosophie verwurzelt.

In seiner heutigen Ausprägung wurde Yin Yoga allerdings wie fast alle modernen Yogastile in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA (durch Paulie Zink) begründet und wird heute vor allem durch die Studien und Lehre des amerikanischen Yogalehrer-Paares Paul und Suzie Grilley sowie deren SchülerInnen wie Sarah Powers, Biff Mitthoefer und Helga Baumgartner weiterentwickelt.

 

 

Im modernen Yin Yoga bildet daher die anatomische wie ganzheitliche Betrachtung des Körpers, die Herausarbeitung seiner Individualität und die Wirkungsweise der Haltungen auf die unterschiedlichen Systeme (etwa das Nervensystem) des Körpers einen weiteren wichtigen Baustein. 

Besonders spannend ist unter diesem Aspekt die wissenschaftliche Untersuchung der Wirkungsweise der Yogapraxis – hierzu gehört neben Asana (Haltungen) u. a. auch Pranayama (Atemübungen) sowie die Meditation – in der Medizin und Psychologie, etwa in der Schmerz- und Faszienforschung oder Traumatherapie.  

Entsprechend bildet Yin Yoga den Gegenpart zu den aktivierenden und kräftigenden Yang-Stilen des Hatha Yoga wie etwa Vinyasa Yoga. Er wirkt sich auf alle drei Ebenen (Body, Mind, Heart) entsprechend der Qualitäten des Yin gleichermaßen regenerierend und fokussierend aus.

Yin Yoga auf allen Ebenen

BODY

Auf körperlicher Ebene zielt die Praxis auf

  • die Öffnung und Dehnung von Bindegewebe (Fazien), Sehnen und Muskeln
  • die Förderung der Beweglichkeit in den Gelenken
  • die Raumschaffung in Brustkorb und Bauchraum (tiefe Atmung) 
  • Lockerung und Entspannung der Muskulatur
  • die optimale Ausrichtung der Knochen und Gelenksysteme zueinander
  • eine gesunde und individuell angepasste Praxis je nach anatomischer Beschaffenheit

Erreicht wird dies durch ein weitestgehend passives und mit Hilfsmitteln unterstütztes Einsinken und Verweilen in den Yin-Haltungen. Entspannung und Zeit (lassen) ermöglichen so eine tiefe Dehnung über mehrere Gelenksysteme hinweg.  

Insbesondere das feine und alles verbindende Fasziengewebe (auch Bindegewebe oder connective tissue genannt) und die große Zahl der dort angelegten Rezeptoren (u. a. auch Schmerzrezeptoren) werden angesprochen, wodurch das Gewebe entspannt und die Facetten der Wahrnehmung (vor allem des eigenen Körpers) geschult werden.

MIND

Atem und die Aktivitäten unseres Geistes bedingen sich gegenseitig. 

Vereinnahmen uns angstvolle Gedanken oder befinden wir uns in einer akuten Stresssituation, so stockt oder rast der Atem –umgekehrt wird mit der Vertiefung und Verlangsamung des Atems auch der Fluss der Gedanken stetig und unaufgeregt.

Das Nervensystem greift diesen Impuls auf und wechselt in einen regenerativen Modus (Parasympathikus), der es ermöglicht in Kontakt mit uns selbst zu gehen und der Welt emphatisch zu begegnen (ventraler Vagus). 

Der Geist (unser kognitives Vermögen oder auch Verstand) bekommt im Yin Yoga viel Zeit um im Körper zu settlen, ganz in der inneren Beobachtung zu versinken.

 

HEART

Und dann gibt es noch die Gefühlsebene, unser wertes Seelenbefinden.

Sind Körper und Geist still, entsteht auf einmal Zeit und Raum für unsere verstecktesten Wünsche und Bedürfnisse.

Gleich einer Wasseroberfläche lässt es sich besser in die Tiefe schauen, wenn keine Wellen (Gedanken und andere Ablenkungen) sie kräuseln, sondern das Wasser (unser Gemütszustand) glatt und durchscheinend ist.

Im Yin Yoga dreht sich alles um diesen Zustand der Hingabe, Passivität, Ruhe und Selbsterkenntnis

Yin Yoga schenkt Dir...

Literatur zum Thema

Paul Grilley, Yin Yoga Principles & Practice, Ashland Oregon, 2012.

Helga Baumgartner, Yin Yoga, München 2017.

Bernie Clark, Das grosse Yin Yoga-Buch, Stuttgart 2018.

Sarah Powers, Insight Yoga, Boulder Colorado 2008.

 

Blandine Calais-Germain, Anatomie der Bewegung, Wiesbaden 2017.

Stanley Rosenberg, Der Selbstheilungsnerv, Freiburg 2018.

Paul Grilley, Anatomy for Yoga (DVD), 2014.

Paul Grilley, Chakra Theory and Meditation (DVD), 2014.